Krieg zwischen Israel und Iran: Öl und Industrie im Visier
Veröffentlicht: Samstag, 14.06.2025 16:08

Krieg in Nahost
Tel Aviv/Teheran (dpa) - Im Krieg zwischen Israel und dem Iran steuern die beiden Erzfeinde auf eine Eskalation ihrer gegenseitigen Angriffe zu. Dabei könnten auch iranische Öl- und Gasanlagen sowie Handelsrouten für Erdöl und wichtige Versorgungsgüter ins Visier geraten und andere Mächte wie die USA in den Konflikt hineingezogen werden. Experten rechnen damit, dass der Krieg noch längere Zeit andauern wird.
Seit der Nacht zu Freitag führt Israel ein Großangriff auf iranische Atomanlagen, führende Militärs und Atomwissenschaftler sowie Verteidigungsstellungen und Städte. Der Iran wertet die Welle von Luftattacken als Kriegserklärung.
Tote und Verletzte in Israel und im Iran
In der Nacht zu Samstag schoss der Iran dann Hunderte Raketen und Drohnen in Richtung Israel ab, die auch im dicht bevölkerten Großraum von Tel Aviv einschlugen. Es gab mindestens drei Tote und etwa 70 Verletzte in Israel.
Im Iran wurden durch die israelischen Angriffe nach Angaben von UN-Botschafter Amir Saeid Iravani fast 100 Menschen getötet und Hunderte weitere verletzt. Die meisten Opfer seien Zivilisten, unter ihnen Frauen und Kinder, sagte er vor dem UN-Sicherheitsrat in New York.
Israel und der Iran drohen sich gegenseitig
Verteidigungsminister Israel Katz drohte dem Iran und seinem obersten Führer Ali Chamenei bei weiteren Angriffen auf zivile Gebiete im Land mit schweren Konsequenzen. «Falls Chamenei weiter Raketen auf die israelische Zivilbevölkerung abfeuert, wird Teheran brennen», sagte Katz nach einer Besprechung mit dem Generalstabschef laut Mitteilung.
Zuvor war ein israelischer Sicherheitsbeamter in Medien mit der Aussage zitiert worden, Israel werde iranische Öl-Anlagen ins Visier nehmen, wenn der Iran Bevölkerungszentren in Israel angreifen sollte.
Die israelische Armee teilte nach den intensiven Angriffen auf die iranische Luftabwehr mit, die Luftwaffe habe nun «freie Bahn nach Teheran».
Ein iranischer General drohte mit der Sperrung der für den Ölhandel wichtigen Straße von Hormus am Persischen Golf.
Israel verteidigt Angriff auf iranische Atomanlagen
Israels Präsident Izchak Herzog begründete den Großangriff auf den Iran mit einer existenziellen Bedrohung des jüdischen Staates, sollte der Iran Atombomben erlangen. Der Iran hat das stets bestritten, Uran aber so hoch angereichert, wie es nur für den Bau von Waffen notwendig wäre. Der US-Auslandsgeheimdienst CIA hatte bis zuletzt keine Hinweise darauf gesehen, dass Irans Führung eine endgültige Entscheidung zum Bau von Atomwaffen getroffen habe.
Sorge vor verheerenden Auswirkungen für die Zivilbevölkerung
Israels scharfe Drohungen könnten Sympathien bei jenen Iranerinnen und Iranern kosten, die ihrer Regierung ohnehin kritisch gegenüberstehen. «Ich fühle nichts mehr. Mir ist alles egal. Schon lange bedeutet mir dieses Land nichts mehr», sagte ein 27-Jähriger aus Teheran. «Die Lage im Iran war doch schon immer schlecht.» Zuhause liegen die Eltern im Streit. Der Vater empfindet gar Schadenfreude über die Tötung von Kommandeuren der Revolutionsgarden. Besonders beliebt ist die Militärführung des Landes nicht. Die Mutter ist traurig, blickt mit Entsetzen auf die Bilder von zerstörten Gebäuden und toten Kindern.
Unter den Menschen in Israel ist das Vertrauen in die israelischen Sicherheitsbehörden zwar groß. In der vergangenen Nacht wurden die Bewohner des Landes jedoch mehrfach von Sirenen aufgeschreckt, um sich anschließend in Bunkern in Sicherheit zu bringen. Bei vielen besteht die Sorge, der Krieg mit dem Iran und die schweren Raketenangriffe könnten sich hinziehen. Nach der vergangenen Nacht sagt der US-amerikanische Student David (22), der im Zentrum von Tel Aviv wohnt: «Ich habe große Sorge, dass die Angriffe noch schlimmer werden. Ehrlich gesagt habe ich auch wirklich Angst.»
Heftiger gegenseitiger Beschuss
Israel wurde nach Angaben der Streitkräfte im Morgengrauen erneut mit Raketen und Drohnen angegriffen. Die meisten der Geschosse hätten abgefangen werden können. Jedoch gab es Zerstörungen an Wohnhäusern unter anderem in Tel Aviv. Auch in Irans Hauptstadt Teheran war in der Nacht Berichten zufolge wieder die Luftabwehr aktiv. Augenzeugen und örtliche Medien meldeten Explosionen im Zentrum und Nordosten der Millionenstadt.
Expertin: Irans Atomprogramm bislang nicht entscheidend geschwächt
Nach Einschätzung der israelischen Iran-Expertin und ehemaligen Mossad-Mitarbeiterin Sima Shine ist das iranische Atomprogramm bei den bisherigen israelischen Angriffen nicht entscheidend geschwächt worden. Getroffen wurden nach israelischen Angaben seit Beginn des Einsatzes unter anderem die Uran-Anreicherungsanlage Natans. Der Iran habe dem Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, zudem mitgeteilt, dass auch die Atomanlagen in den Städten Isfahan und Fordo angegriffen worden seien.
Israel ist die einzige Atommacht in der Region. Es ist eine seit Jahrzehnten bestehende Doktrin Israels zu verhindern, dass feindliche Länder in der Region in den Besitz von Atomwaffen gelangen, und die Existenz des jüdischen Staates gefährden.
Israel befolgt bei Angriffen auf Iran «Hisbollah-Drehbuch»
Die Nahost-Expertin Maha Jahja, Direktorin des Carnegie Middle East Centers, sagte CNN, Israel befolge ein Drehbuch wie im Kampf gegen die Schiitenmiliz Hisbollah im Libanon. Auch dort sei nach und nach die gesamte Führung ins Visier geraten und ausgeschaltet worden. Israel verfolge eine zweigleisige Strategie. Es ziele auf Irans Atomprogramm und versuche zugleich, die Führung in Teheran zu destabilisieren. Dazu passe auch der Aufruf von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu an die Iraner, sich gegen die eigene Führung zu erheben. Die israelische Armee hat nach eigenen Angaben bisher mehr als 20 iranische Kommandeure gezielt getötet.
Zukunft für Atomverhandlungen ungewiss
Seit rund zwei Monaten verhandelten Washington und Teheran eigentlich über das umstrittene Atomprogramm – zuletzt jedoch ohne Fortschritte. Für Sonntag war eigentlich eine neue Gesprächsrunde angesetzt. Der Krieg zwischen Israel und Iran macht eine weitere Verhandlungsrunde zwischen Teheran und Washington äußerst unwahrscheinlich. Angesichts der israelischen Angriffe sei eine Fortsetzung der indirekten Verhandlungen zwischen mit den USA nicht zu rechtfertigen, sagte Irans Außenminister Abbas Araghtschi in einem Telefonat mit der EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas.


