Warum die Stadtbild-Debatte Merz nicht loslassen wird

Demonstration - „Wir sind die Töchter“
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Kanzler unter Druck

Berlin (dpa) - Die Kritik an Bundeskanzler Friedrich Merz wegen seiner Bemerkungen über das «Stadtbild», das Sicherheitsgefühl von Töchtern und die Migration nimmt weiter zu. Vom Koalitionspartner SPD kommt der Vorwurf, er stifte sozialen Unfrieden. Linke und Grüne halten dem CDU-Chef Rassismus und AfD-Rhetorik vor. Nach einer Demonstration in Berlin am Dienstag unter dem Motto «Wir sind die Töchter!» mit mehreren Tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmern sind weitere Kundgebungen in Kiel und Köln geplant. In der eigenen Partei erhält Merz viel Zustimmung, es gibt aber auch einzelne kritische Stimmen und den Wunsch nach Klarstellung. 

Merz selbst reiste am Mittwoch für drei Tage ins Ausland – erst nach London, zum Westbalkan-Gipfel, danach geht es zum EU-Gipfel nach Brüssel. Am Dienstag wollte er sich in Stuttgart auf Nachfrage nicht mehr zum Thema äußern. Es sei «deutlich geklärt», was er gemeint habe.

Das Thema dürfte er trotzdem nicht so schnell loswerden. Dafür gibt es mehrere Gründe. 

Die Aussage selbst: Noch keine Klarheit 

Ausgangspunkt für die Debatte ist eine Aussage des Kanzlers auf einer Pressekonferenz in Potsdam in der vergangenen Woche zur Migrationspolitik. Man korrigiere frühere Versäumnisse und mache Fortschritte, sagte er dort. «Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen.»

Weil Merz nur angedeutet hat, was für ihn das Problem im Stadtbild ist, lässt er in der Debatte viel Interpretationsspielraum. Das gilt auch für seine Antwort auf eine Nachfrage eines Journalisten auf einer CDU-Pressekonferenz am Montag: «Fragen Sie mal ihre Töchter.»

Nicht nur dem CDU-Politiker Armin Laschet ist das «zu nebulös». Die Unklarheit dessen, was Merz damit gemeint habe, könnte die AfD für sich nutzen, sagte der frühere Kanzlerkandidat der Union und heutige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Die AfD werde bei der nächsten Bundestagswahl natürlich fragen, ob das «Stadtbild» besser geworden sei. 

Merz hätte klarer formulieren können, so Laschet. Es gehe beim Stadtbild nicht nur um Migration. Zum Stadtbild gehörten etwa auch von deutschen Süchtigen weggeworfene Drogenspritzen in Parks, Antisemiten, die Hamas-Parolen brüllten oder Rechtsradikale, die durch Straßen zögen. 

Demonstrationen: «Wir sind die Töchter!»

Merz' Äußerung zu den Töchtern war für die Klima-Aktivistin Luisa Neubauer Anlass, ihre Empörung über Merz mit einem spontanen Aufruf zu einer Demonstration vor der CDU-Zentrale ins Berliner Stadtbild zu tragen. 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren angemeldet, zwischen 2.000 (Polizei) und 7.500 kamen. Mit dabei waren auch die Grünen-Co-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge und frühere Grünen-Parteichefin Ricarda Lang. 

Es wird weitere Demonstrationen geben, in welchem Ausmaß ist noch unklar. Heute ruft Fridays for Future zu einer Demo in Kiel auf, am Donnerstag folgt eine Kundgebung in Köln. 

Politische Forderungen: Videoüberwachung und Frauenhäuser

Merz selbst hat sich lediglich für einen weiterhin konsequenten Kurs bei Abschiebungen von Ausländern ohne Bleiberecht ausgesprochen, um das Stadtbild zu verändern. In der Debatte werden nun aber weitere Forderungen ganz unterschiedlicher Art gestellt. 

Der CDU-Landeschef in Rheinland-Pfalz, Gordon Schnieder, sprach von «Angsträumen» in den Städten. Er meint damit öffentliche Plätze, über die gerade Frauen nicht mehr alleine bei Dunkelheit laufen möchten, wie er der «Rheinpfalz» sagte. Um das Problem in den Griff zu bekommen, sprach er sich für eine KI-gestützte Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen aus. 

Linksfraktionschefin Heidi Reichinnek sagte dagegen dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), der gefährlichste Ort für Frauen sei ihr eigenes Zuhause. Ginge es Merz um den Schutz von Frauen vor Gewalt, müsste er die Finanzierung von Frauenhäusern und Beratungsstellen sichern und in Gewaltprävention investieren. 

Koalitionsfrieden: Belastungsprobe für Schwarz-Rot

Das vielleicht größte Problem für Merz: Die Debatte wird inzwischen zur Belastungsprobe für seine schwarz-rote Koalition, die nach dem holprigen Start mit den Streitigkeiten um die Wahl von Verfassungsrichtern und Strompreissenkungen gerade versucht, wieder in ruhigere Fahrwasser zu kommen. 

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner wirft Merz vor, sich im Ton vergriffen zu haben: «Er bedient eine Ausländer-raus-Stimmung, bietet keine Lösungen an und stiftet damit sozialen Unfrieden», sagte Stegner dem «Tagesspiegel». Die Äußerungen von Merz trügen auch «nicht dazu bei, die Stimmung in der Koalition zu verbessern». An der SPD-Basis seien viele «entsetzt über die Worte des Kanzlers». 

Auch der SPD-Außenpolitiker Adis Ahmetovic sagte im Magazin «Stern», das Problem sei, dass Merz als Kanzler auch für die Koalition spreche. «Ich will das als SPD-Abgeordneter, zumal als Großstadt-Kind, nicht einfach so stehen lassen.»

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