Bewerbung: Wo beginnt Aufpolieren, wo endet die Wahrheit?

Mann in einem Gespräch
© Zacharie Scheurer/dpa-tmn

Neuer Job mit Hilfe von KI

Bochum/Schwedt (dpa/tmn) - Spanisch auf Muttersprachniveau, weitreichende Projektverantwortung, praktische KI-Kompetenzen: Tragen Sie in bei Bewerbungen auch gerne dick auf? Woher wissen Bewerberinnen und Bewerber eigentlich, dass Sie einen Schritt zu weit gegangen sind - was zählt noch als Aufpolieren, und wo endet die Wahrheit? Experten ordnen ein.

Bastian Hughes, Karriereberater und Podcaster («Berufsoptimierer») sieht es pragmatisch, wenn man sich im Lebenslauf und Anschreiben im besten Licht darstellt: «Dadurch, dass auch Unternehmen sich in Stellenanzeigen von ihrer besten Seite zeigen wollen, finde ich das nur fair.» Arbeitgeber würden auf ihren Webseiten teils «astronomische Versprechungen» machen, die Wahrheit sehe oft ganz anders aus.

Vertrauen als entscheidender Faktor

Und: «In Bewerbung steckt auch das Wörtchen 'werben'», so Hughes weiter. In der Werbung gehe klar darum, die positiven Features eines Produkts in den Vordergrund zu stellen. Analog gilt auch für Bewerbungen: Die besten Eigenschaften werden hervorgehoben. Passt etwas weniger zur Ausschreibung, darf das auch mal unter den Tisch fallen.

Ein Freifahrtschein ist das aber nicht: «Die Grenze zur Irreführung ist schnell überschritten», sagt der Kommunikations- und Karriereberater Branko Woischwill. Wer Erfolge zu stark ausschmückt, riskiere seine Glaubwürdigkeit. «Vertrauen ist im Bewerbungsprozess ein entscheidender Faktor – und wenn es einmal beschädigt ist, nur schwer wiederherzustellen.»

Zu weit gegangen? Wo eine Grenze überschritten wird

Bastian Hughes sieht eine Grenze überschritten, «wenn ich als Bewerber ganz bewusst die Unwahrheit schreibe». Beim klaren Lügen also. Beispiel: Angenommen eine Person hat bis zu einem bestimmten Zeitpunkt bei einem Arbeitgeber gearbeitet, stellt das im Lebenslauf aber weiterhin als aktuelle Tätigkeit dar, obwohl sie seit sechs Monaten nicht mehr dort angestellt ist.

Branko Woischwill zieht die Grenze da, wo Angaben nicht mehr belegbar oder plausibel nachvollziehbar sind. «Wenn aus der Mitarbeit in einem Projekt plötzlich eine Leitungsfunktion wird, ist das kein Selbstmarketing mehr – sondern Irreführung», so der Berater. «Und die fällt spätestens im Vorstellungsgespräch oder im Berufsalltag auf.»

Kommen beim zuständigen Personaler angesichts von Unstimmigkeiten und Co. Zweifel auf, folge oft der Blick ins Arbeitszeugnis, erzählt Hughes aus eigener Erfahrung. Das bringt die Wahrheit schnell ans Licht: Bei einer Führungsrolle werden auch Führungsaufgaben im Zeugnis erwähnt. 

«Ich muss mir zudem gewahr sein, dass ich im Bewerbungsgespräch gefragt werde: Wie haben Sie ein Team geführt? Wie sind Sie mit Konflikten umgegangen?», so Hughes. Wer den eigenen CV dahingehend «frisiert» hat, müsse sich nicht wundern, am Ende den Zuschlag nicht zu bekommen.

Die Rolle der KI: Gut verkauft, ist halb gewonnen?

Aber ist nicht mittlerweile ohnehin nahezu jede Bewerbung mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) erstellt und klingt entsprechend sensationell? 

Laut Hughes kommt es hier auch darauf an, wie Bewerberinnen und Bewerber KI verwenden. Angenommen man fordert ein generatives KI-Tool dazu auf, ein Anschreiben basierend auf einer Stellenanzeige und dem eigenen Lebenslauf zu formulieren: «Dann muss man am Ende selbst in den Spiegel schauen und mit dem leben können, was da steht», so der Karriereberater.

Die sprachliche Qualität des generierten Anschreibens variiere mit der Qualität der Prompts, die dem Chatbot gegeben werden, sagt auch Ben Dehn vom Bewerbungsservice «Die Bewerbungsschreiber». Für den Experten problematisch: Wer nicht genau weiß, was er tut, kann die Qualität des Ergebnisses auch nicht beurteilen. 

Auch der Austausch mit dem Chatbot braucht Zeit

Ben Dehn betont: «Es sieht besser aus als gedacht und liest sich auch flüssig, ist in der Regel allerdings sehr allgemein und floskelhaft». Ob das Anschreiben gut genug ist, um sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen, könnten Ungeübte oft nicht einschätzen.

Bastian Hughes hat diese Tipps für Bewerberinnen und Bewerber:

  • die KI eher als eine Art Coach sehen und verstärkt in den Austausch gehen
  • das eigene Anschreiben als Vorlage vorgeben, der KI damit einen bestimmten Stil zuweisen und der Bewerbung so nach und nach eine persönliche Note verleihen

Ein Knackpunkt laut Ben Dehn: Die Zeit, die man in den Austausch mit einem KI-Chatbot steckt, könne man auch in die Recherche zur Bewerbung stecken und die Bewerbung selbst schreiben. 

Die KI als Verkaufsexperte: Erfolgsorientiert statt bescheiden

Chancen sieht Bastian Hughes darin, dass Chatbots Dinge oft «wahnsinnig gut erfolgsorientiert formulieren» können. Das hilft dabei, sich gut zu verkaufen - dem Berater zufolge gerade für Positionen auf Führungsebene ein Pluspunkt. Eine gewisse «deutsche Bescheidenheit» sei beim Formulieren von Anschreiben hingegen eher kontraproduktiv. 

Auch Ben Dehn findet, dass ein KI-generiertes Anschreiben im Ergebnis «in der Regel schon besser ist als viele gängige Mustervorlagen aus dem Internet.» Was Personalerinnen und Personalern aber schnell auffalle, seien unnötige Wiederholungen und das häufige Vorkommen von Satzanfängen mit «Ich». 

Wer durchs Raster fällt

Zum typischen Muster einer KI-generierten Bewerbung gehören Dehn zufolge außerdem allgemeine Floskeln, inflationäre Nutzung von Doppelpunkten und Gedankenstrichen. Auch würden Chatbots oder KI-Tools oft vorhandene Kompetenzen und geforderte Kompetenzen vermischen. So wird oft schnell ersichtlich, ob ein Anschreiben vom KI-Chatbot kommt. Im Zweifel sollten Bewerberinnen und Bewerber KI also zur Inspiration nutzen und immer selbst noch mal nacharbeiten.

Berücksichtigen sollte man außerdem, wer die Bewerbung später liest: Die Formulierung sollte im besten Fall auf den Empfänger oder die Empfängerin abgestimmt sein. 

«Glaubwürdigkeit lässt sich nicht automatisieren», sagt Branko Woischwill. Auch Recruiter würden KI-Tools nutzen, um Lebensläufe effizient auf Unstimmigkeiten zu prüfen. «Wer zu stark beschönigt, riskiert, durch beide Raster zu fallen – maschinell wie menschlich.»

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Die KI kann ein guter Verkäufer sein: Oft schadet es nicht, sich beim Verfassen eines Anschreibens etwas coachen zu lassen. © Nico Tapia/dpa-tmn
Die KI kann ein guter Verkäufer sein: Oft schadet es nicht, sich beim Verfassen eines Anschreibens etwas coachen zu lassen.
© Nico Tapia/dpa-tmn

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