Gewalt an Schulen im Kreis Recklinghausen nimmt zu

Nicht nur landesweit – auch bei uns im Kreis Recklinghausen muss die Polizei immer öfter zu Schulen ausrücken, weil dort Straftaten passieren. Das geht aus aktuellen Zahlen hervor. Wir haben uns gefragt: Wie kommt das? Und was kann man dagegen tun?

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Tatort Schule: Polizei im Kreis Recklinghausen zählt fast 1.000 Fälle

Die Polizei bei uns im Kreis Recklinghausen muss immer öfter zu Schulen ausrücken, weil dort Straftaten passieren. Letztes Jahr sind der Polizei 972 Fälle gemeldet worden, hat uns eine Polizeisprecherin auf Anfrage mitgeteilt. Im Vergleich zum Jahr 2019 – also der Vor-Corona-Zeit – sind das fast 200 mehr. Am häufigsten gab es Diebstähle – gefolgt von Körperverletzungen und Sachbeschädigungen. Die Polizei weist daraufhin, dass in der Statistik nicht nur Straftaten auftauchen, die während der Schulzeit passiert sind, sondern auch abends oder am Wochenende.

Polizei: Tritte und Schläge an Schulen im Kreis Recklinghausen sind heftiger geworden

Hauptkommissar Dietmar Schirrmacher von der Kreispolizei befasst sich seit über 20 Jahren mit der Gewaltprävention - auch im Schulbereich Er hilft Lehrern in Trainings, richtig mit Gewalt umzugehen. Seine Einschätzung: Tritte und Schläge haben zugenommen. Die Täter hören oft nicht auf, zu schlagen. Sie wollen ihr Opfer bestrafen. Es gebe Banden und Clanstrukturen auch an Schulen und verschiedene Nationalitäten haben wechselseitige Vorurteile und verstehen sich oft nicht gut. Das sorgt für Spannungen und Übergriffe. In Trainings macht Dietmar Schirrmacher Lehrer fit, richtig mit Gewalt umzugehen. Den nötigen Sicherheitabstand einhalten, nicht sofort in den Konflikt reingehen, Kollegen dazuholen. Kommunikation sei sehr wichtig. Im schlimmsten Fall lässt sich der Konflikt nicht lösen und die Polizei müsse gerufen werden. Wann welches Verhalten wie richtig ist, wird in den Trainings erklärt.

Hauptkommissar Dietmar Schirrmacher beschäftigt sich schon seit zwei Jahrezehnten mit dem Thema Gewalt an Schulen. Er sagt: "Die Täter hören oft nicht auf, zu schlagen." © Radio Vest
Hauptkommissar Dietmar Schirrmacher beschäftigt sich schon seit zwei Jahrezehnten mit dem Thema Gewalt an Schulen. Er sagt: "Die Täter hören oft nicht auf, zu schlagen."
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Richtig mit Gewalt umgehen: Beispiel Rosa Parks Gesamtschule in Herten

Anfang Mai hatte in Herten eine Gruppe von 13 und 14-jährigen Schülern einen 11-Jährigen attackiert und so schwer verletzt, dass er ins Krankenhaus musste. Die Schulleiterin der Rosa Parks Gesamtschule in Herten, Stefanie Brzoza, ist an die Öffentlichkeit gegangen und hat eingeräumt, dass es sich um Schüler ihrer Schüler gehandelt hat. Es wurde Anzeige erstattet und einige Schüler sollen die Schule jetzt verlassen. "Wir kehren nichts unter den Teppich", sagt Brzoza. Sobald es strafrechtlich relevant werde, gebe es eine Anzeige - immer im Austausch mit der Polizei. Die wiederum betont, dass dieses Vorgehen richtig ist. Nur so könnten Wiederholungstäter erkannt und wieder auch in die richtige Spur gebracht werden. Spezialisten der Polizei gehen in die Schulen und beraten Eltern und Lehrer. Es gibt auch eine Abteilung, die speziell das Thema Gewalt im Fokus hat. Stefanie Brzoza betont, dass ihre Schule kein Gewaltproblem hat.

"Eine Schule sei ein Spiegel der Gesellschaft, es gebe nicht mehr oder weniger Fälle als an anderen Schulen. Und wenn es dazu kommt, hat es auch schon Zivilcourage gegeben. Kinder haben sich dazwischengestellt, haben die Polizei und den Krankenwagen gerufen."
Stefanie Brzoza ist Schulleiterin der Rosa Parks Gesamtschule in Herten. Sie hat sich dazu entschieden, Fälle von Gewalt an ihrer Schule öffentlich zu machen. © Radio Vest
Stefanie Brzoza ist Schulleiterin der Rosa Parks Gesamtschule in Herten. Sie hat sich dazu entschieden, Fälle von Gewalt an ihrer Schule öffentlich zu machen.
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Suche nach Auswegen: Schulklasse für Problemfälle im Hertener Jugendzentrum Nord

Seit 2018 ist die Praxisklasse am Jugendzentrum Nord eingerichtet. Hier werden Schüler der Rosa Parks Gesamtschule unterrichtet, die im letzten Schulbesuchsjahr sind und sich nicht mehr für Schule interessieren. Schüler, die kaum noch da sind und manchmal auch gewalttätig werden, sagt Enrico Baldassari, der Leiter des Jugendzentrums. Neben dem Lehrer steht für sie auch eine pädagogische Kraft zur Verfügung und in der Klasse sind nur 16 Schüler. Die bekommen neben dem Unterricht eine Beratung in allen Lebenslagen und Antworten etwa auf die Fragen: Wie stelle ich einen Antrag beim Jobcenter? Wie schreibe ich eine Bewerbung? Junge Menschen fit für das Leben machen. Die Schüler werden intensiver und individueller betreut. Und das alles kommt an und wirkt sich am Ende positiv aus. In der Praxisklasse gebe es etwa doppelt so viele Schulbesuchszeiten wie vorher in der Schule. Sie finden immer offene Türen, um Probleme zu besprechen oder sich einfach nur einen Rat zu holen. Es entstehen echte Vertrauensverhältnisse.

Daniel Kunath (li.) und Enrico Baldassarri betreuen eine Schulklasse für Problemfälle im Jugendzentrum Nord in Herten. Vielen macht die Schule hier plötzlich wieder richtig Spaß, es entstehen richtige Vertrauensverhältnisse.© Radio Vest
Daniel Kunath (li.) und Enrico Baldassarri betreuen eine Schulklasse für Problemfälle im Jugendzentrum Nord in Herten. Vielen macht die Schule hier plötzlich wieder richtig Spaß, es entstehen richtige Vertrauensverhältnisse.
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Reul sieht Ursachen für Gewalt an Schulen im Lockdown

Nicht nur bei uns im Kreis Recklinghausen, auch landesweit muss die Polizei immer häufiger zu Einsätzen an den Schulen ausrücken. Die Zahlen sind im letzten Jahr gestiegen, berichtete das Innenministerium auf eine Anfrage im Landtag. Insgesamt wurden 24.500 Straftaten gezählt. Fast 19 Prozent mehr als 2019. Bei gravierenden Fällen wie Körperverletzung, Bedrohung oder Raub ist der Anstieg sogar noch deutlicher - da gab es ein Plus von 50 Prozent. Die Statistik bezieht sich generell auf den Tatort Schule. Das heißt: Taten passieren nicht unbedingt zur Unterrichtszeit, sondern auch danach auf dem Schulhof. Trotzdem macht sich NRW-Innenminister Reul deshalb große Sorgen und sieht die Ursachen vor allem auch in den Corona-Lockdowns.

"So etwas wie gesunde Streitkultur und Kräftemessen mit Gleichaltrigen ist im Lockdown zwangsläufig auf der Strecke geblieben. Allein kann die Polizei diese Probleme auf jeden Fall nicht in den Griff bekommen. Da sind mehr Kräfte gefragt."
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